Seismit-Horizonte stellen Theorie eines Doppel-Asteroiden für die Entstehung des Nördlinger Ries und Steinheimer Beckens in Frage

aus: Nature Scientific Reports 2020

Die beiden süddeutschen Meteoritenkrater Nördlinger Ries und Steinheimer Becken gehören zu den am besten erhaltenen und am intensivsten erforschten Einschlagsstrukturen der Welt. Seit ihrer Erkennung als kosmische Narben in den 1960er Jahren galten sie als Zwillingskrater, die durch den Einschlag eines Doppel-Asteroiden gleichzeitig entstanden sein sollen. Diese Theorie beruhte allerdings überwiegend auf der Annahme, dass die getrennte Bildung von Meteoritenkratern in unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Nähe zueinander sehr unwahrscheinlich erschien. Obwohl die beiden Krater seit Jahrzehnten Gegenstand der Forschung sind, wurden in den letzten Jahren ständig neue Erkenntnisse gewonnen. Dazu gehört unter anderem die Ermittlung des exakten Alters für den Rieseinschlag, bei dem vor 14,81 Millionen Jahren ein über 1 km großer Asteroid einen etwa 24 km durchmessenden Kessel in die Schwäbisch-Fränkische Alb sprengte, in dem heute die Stadt Nördlingen liegt. Anders als beim Ries gelang eine genaue radiometrische Altersbestimmung des Steinheimer Einschlags mangels datierbaren Probenmaterials bislang nicht. Wie nun aus einer neuen Studie der drei Geowissenschaftler Elmar Buchner, Martin Schmieder und Volker J. Sach in der international renommierten Fachzeitschrift Nature – Scientific Reports hervorgeht, lösten die beiden Einschläge verheerende Erdbeben in weiten Bereichen Süddeutschlands bis in die Schweiz hinein aus. Die seismischen Wellen der Impakt-Erdbeben verursachten eine typische, chaotische Deformation der oberflächennahen Gesteine, die in der Geologie dementsprechend als Seismite bezeichnet werden. Die Existenz von Spuren des Ries-Erdbebens in Süddeutschland wurde zwar schon länger vermutet, nun aber in einem ungeahnten Ausmaß im nördlichen Alpenvorland erstmals nachgewiesen. Die Ries-Seismite lassen sich im Gelände unweit Biberach, Ravensburg und St. Gallen bis zu einer Entfernung von fast 200 km vom Rieskrater beobachten.

Die geologischen Geländebefunde, die in der neuen Studie dargestellt werden, lassen sogar eine minutengenaue Rekonstruktion der Abläufe am Tag des Rieseinschlags zu. Nachdem in der ersten Minute nach dem Einschlag die Landschaft durch die seismischen Wellen erschüttert wurde, folgte in den nächsten Minuten eine enorme Druckwelle, die von einer gewaltigen Feuerwalze begleitet wurde. Gemeinsam ebneten sie die Umgebung ein, Hügelketten wurden regelrecht abrasiert und ganze Wälder in Brand gesetzt. In den folgenden weiteren Minuten fielen dann unzählige, bis zu kopfgroße Gesteinsauswürflinge vom Himmel, bis schließlich feines Material aus einer Impaktwolke des Rieseinschlags abregnete und die Landschaft zudeckte. Die Gesteinsbrocken, zumeist aus Oberjura-Kalkgestein des Ries-Gebiets, enthalten Strahlenkegel, also eindeutige Stoßwellen-Merkmale des Ries-Einschlags. In diesem sogenannten Brockhorizont fanden sich sogar ausgeworfene Jurafossilien, darunter auch Reste von Ammonitengehäusen, die vom Rieskrater mit vielfacher Überschallgeschwindigkeit über mehr als 100 km an ihre heutige Fundstelle flogen. Doch damit nicht genug: Ähnlich wie bei großen Vulkanausbrüchen folgten dem Impaktereignis schwere Starkregen und Überflutungen, wahrscheinlich über Tage und Wochen hinweg.

Der Ries-Einschlag sollte aber nicht die einzige Naturkatastrophe in Süddeutschland zur Zeit des Miozäns bleiben. Wie die neuen Forschungsergebnisse zeigen, folgte rund eine halbe Million Jahre später schon das nächste kosmische Ereignis. Dabei stürzte nur 40 km südwestlich des Rieskraters ein zweiter, etwa 150 m großer Asteroid auf die Erde zu und schlug ungebremst auf der Ostalb ein. Wenn auch das Steinheimer Becken nur einen Durchmesser von rund 4 km besitzt, so scheint auch dieser Einschlag weitreichende Folgen für die umgebende damalige Landschaft gehabt zu haben. Wie bei Biberach an der Riß besonders anschaulich zu beobachten ist, durchschlagen Gesteinsgänge, die sich während eines zweiten starken Erdbebens bildeten, die zuvor vom Ries-Beben deformierten Schichten und das überlagernde Gestein. Dies zeigt, dass die Gesteinsgänge, die ebenfalls eine Form von Seismiten darstellen, eindeutig jünger sind, als die Ries-Seismite. Die drei Forscher gehen davon aus, dass die Gänge im Zuge des Steinheim-Bebens entstanden und dass es damit zwei voneinander unabhängige, heftige Erdbeben in der Region gegeben haben muss.

Das in der neuen Studie gezeichnete Szenario deutet also darauf hin, dass das Steinheimer Becken einige hunderttausend Jahre nach dem Nördlinger Ries gebildet wurde und der Steinheim-Einschlag damit ein völlig eigenständiges Impakt-Ereignis darstellt. Das einstige Paradebeispiel eines Doppeleinschlags in Süddeutschland wird damit erstmals grundsätzlich in Frage gestellt. Die neue Theorie wird außerdem durch paläontologische Befunde aus den beiden Kratern selbst gestützt: In den abflusslosen Senken beider Strukturen bildeten sich unmittelbar nach den Einschlägen fossilreiche Ablagerungen in den kreisrunden Kraterseen. Das Besondere an diesen Kraterfüllungen ist, dass die ältesten Ablagerungen des Ries-Sees tatsächlich um einige hunderttausend Jahre älter sind, als jene des Steinheimer Beckens, wie aktuellere Studien belegen. Insbesondere unter Paläontologen stand also eine mögliche Ungleichzeitigkeit der beiden Einschläge bereits längere Zeit im Raum, Zweifel an der prominenten Doppeleinschlags-Theorie wurden allerdings bislang nicht konkret formuliert.

Durch ein gewaltiges Paläo-Erdbeben infolge des Nördlinger-Ries-Impakts verbogene, tertiäre Sedimentschichten der Oberen Süßwassermolasse ( Durch ein gewaltiges Paläo-Erdbeben infolge des Nördlinger-Ries-Impakts verbogene, tertiäre Sedimentschichten der Oberen Süßwassermolasse (

Abb.: Durch ein gewaltiges Paläo-Erdbeben infolge des Nördlinger-Ries-Impakts verbogene, tertiäre Sedimentschichten der Oberen Süßwassermolasse im Kleintobel bei Ravensburg bzw. Weingarten. Dieser sogenannte "Seismit-Horizont mit Slump-Strukturen" bildete sich Buchner, Sach und Schmieder zufolge beim Durchlauf hochenergetischer seismischer Erdbebenwellen im wassergesättigten Sediment. Fotos: Volker J. Sach, Maßstab (Hammerlänge): ca. 0,3 Meter.

Buchner, E., Sach, V. J. & Schmieder, M. (2020) New discovery of two seismite horizons challenges the Ries–Steinheim double-impact theory. Nature - Scientific Reports (2020), doi: 10.1038/s41598-020-79032-4. https://www.nature.com/articles/s41598-020-79032-4


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